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Schwarzfahren als soziales Engagement

Heute mal wieder in der S-Bahn unterwegs von Frankfurt Hauptbahnhof in den Taunus. In Rödelheim steigen zwei Männer zu und setzen sich zu mir. Jeder eine Flasche Betonbier in der Hand an der immer wieder genuckelt wird. Alles klar, es handelt sich um die „Ich trink ein Bier auf Hartz IV„-Fraktion. Kaum sitzen die Jungs, kommen die Kontrollöre.

Der Typ schräg gegenüber mit dem nur noch rudimentär vorhandenen Gebiss reicht dem Schaffner sofort seinen Personalausweis. Der zweite Kontrolleur geht vorbei und der Typ neben mir beschwert sich bei ihm: „Hey, mein Kumpel wird kontrolliert und ich nicht!“ Der dicke Schaffner lacht: „Wir kennen dich. Du fährst doch eh immer schwarz.“ Dann geht er weiter. Alle ganz entspannt im Hier und Jetzt.

„Ach so“, grins ich den Langhaarigen an, „wenn man oft genug schwarz fährt, wird man nicht mehr aufgeschrieben?“

„Nee“, sagt er, „ich hab nen Schwerbehindertenausweis, dann brauch ich keinen Fahrschein. Die kennen mich.“

Sein Kollege kriegt den Strafzettel und auch der zweite Kontro zockelt davon. Mr. Kukident knüllt den Zettel zusammen und steckt ihn in den Mülleimer. „Wenn uns bis Bad Homburg noch einer kontrolliert, zeigen wir denen, wo der Zettel steckt.“ Die Jungs amüsieren sich prächtig.

Die halb zahnlose Ida guckt mich an: „Ei ja, das ist so: Wenn sie dich in der U-Bahn oder in der Straßenbahn erwischen, bist du dran. Aber die Bahn lässt erstmal alles über Anwälte laufen. Zahlen oder gemeinnützige Arbeitsstunden machen. Solange du kooperierst, ist alles okay. Also werd ich wieder irgendwo einen Sportplatz kehren oder vor nem Kindergarten sauber machen, dann war’s das.“

Ich bin verblüfft. „Dann ist Schwarzfahren also im Grunde soziales Engagement?“ Die Jungs nicken und stoßen drauf an. Wieder was gelernt. Wie saat ma do, wo eich herkomm: „Schwätze muschde met de Leit!“

„Da hinten ist ein Vierer frei“, sagt der Langhaarige. Sie stehen auf und wechseln den Platz. In Oberursel steigen nämlich zwei Frauen vom gleichen Kaliber zu, mit denen sie wohl verabredet sind. Ich ernte zum Abschied noch ein letztes zahnfreies Lächeln: „Und nie den Fahrschein vergessen!“

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