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Suche nach Leben

Der Klang einer Rotosound Swing Bass D-Saite, die mit der linken Hand am Schwingen gehindert wird, und mit dem Fingernagel Deines rechten Daumens kratzt Du langsam, Windung für Windung, an ihr herunter. Du willst Deine Lehre kündigen, durchs Zimmer scheint die Maisonne und Du hast es zum ers­ten Mal seit längerem wieder am Magen.

Oben rumoren Deine Eltern, sie versuchen seit eineinhalb Stunden, Dich dazu zu bringen, arbeiten zu gehen, noch ist es erst zwanzig vor acht, Du weißt, diese Ent­scheidung kann Dich Deine Zukunft kosten, aber durch sie kannst du auch zu Dei­ner Bestimmung finden.

Du hoffst nur, sie reden nicht wieder davon, Dich rauszuschmeißen, ohne Knete, Du kannst Dich dann wohl vergessen. Du hoffst, Mutter weint nicht, Vater schreit nicht, keiner soll leiden wegen Deinen Entscheidungen. Es ist das einzige, was Du hast, das einzige, was Du kannst, wenn Du bereit bist, die Fol­gen zu tragen. Du bist noch jung, es heißt, „der Jugend gehört die Welt“, das ist Blödsinn, nichts ge­hört Dir, nur Du selbst, auch Dich hast Du der Firma ver­kauft, für 605 DM brutto im Monat.

Du suchst etwas, denkst nach, fühlst, vergleichst.

Was ist das, was ich suche? Wo finde ich es?

Du weißt es nicht, keine Antwort. Nur dies eine weißt Du: diese Arbeit hindert Dich daran zu suchen, zu finden. Es ist nicht das, was Du willst, und so etwas zwei Jahre lang, ein ganzes, kleines Leben über? Und das nächste vielleicht auch? Und dann diese Sache mit Tschernobyl, Du weißt, es kann jederzeit wie­der passieren, näher, viel näher dran an Deinem kleinen Leben. Und dann?

Du hast noch nicht gelebt, noch nicht gefunden und dann kannst Du es nicht mehr: Lehrling, aber tot, die Chance vorbei.

Durchs Fenster scheint die Maisonne, sie lädt Dich ein.

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