Mann in Blau

„Lieber Tor,
herzlichen Glückwunsch zu Deiner Website. Ein Tip von mir: Warum schreibst Du Deinen dritten Roman nicht online? Das Intro und der Handlungsverlauf stehen doch bereits seit 1998. Lass Deine LeserInnen Geld überweisen und dann schreibe! Bei mir hat das gut funktioniert. Sicher, Du bist nicht ganz so bekannt, aber dafür wesentlich ehrlicher – es würde ein richtiger Online-Roman werden. Also, los!
Dein Freund und Mentor Stephen K.“

 

Mann in Blau

1. Kapitel

I.
Er lief. Auf seinen Schultern lasteten Tonnen. Hinter ihm keuchte es schwer. Es war nicht dieser Hilfeschrei kollabierender Lungenflügel wie bei ihm. Es war der nahende Triumph des Jägers, dem der Geifer im Munde zusammenläuft.
Seine Beine verhaspelten sich, drohten ihn zu Fall zu bringen. Mit letzter Kraft stellte er sein Gleichgewicht wieder her, hetzte weiter in Richtung der flaschengrünen Berge, deren Zacken Löcher in einen blutroten Himmel bohrten.
Heißer Odem wehte von hinten heran, verbrühte seinen Hals, trieb ihn weiter an. Wie sollte er dem Biest nur entkommen? Gab es überhaupt eine Rettung in diesen Bergen? War nicht seine Flucht sinnlos? Aber wie sollte er, ein Mensch, ohne Hilfe auf diesem fernen Planeten, mit nichts am Leibe als den Fetzen seines Pyjamas, sich gegen ein Ungeheuer zur Wehr setzen? Der steinige Untergrund riss die Sohlen seiner Füße auf, Schmerz stieg aus ihnen auf, mischte sich mit den Hilfeschreien seiner steinernen Waden, seiner knirschenden Gelenke, dem berstenden Herz, der aufgeschmirgelten Kehle und allen anderen Teilen seines gepeinigten Körpers.
Dann blieb sein Fuß an einem dieser Klettergewächse hängen, die den Boden in unregelmäßigen Abständen maserten. Schwer krachte sein Leib auf Steine, überschlug sich schreiend. Alle Schmerzmeldungen wurden in seinem Gehirn von einem Satz überlagert: Es hat mich! Es hat mich!
Keine gnädige Bewusstlosigkeit empfing ihn, um das bevorstehende Grauen zu erleichtern. Er lag auf dem Bauch, Wellen der Pein rasten durch seinen Körper. Sie nahmen ihn mit, versprachen ihm Erlösung. Der Kampf, das Rennen um sein Leben war vorbei. Jetzt konnte er endlich sterben. Wenn der bevorstehende Tod nur nicht den Keim des Versprechens in sich getragen hätte, alles vorangegangene in den Schatten zu stellen, es zu einem Spaziergang an den Ufern eines ruhigen Flusslaufs zu degradieren. Worauf wartete das Biest? Warum schlug es seine Fänge nicht endlich in seinen zerschundenen Körper? Wollte es die Leiden dieser menschlichen Maus denn ins Unerträgliche steigern? Er spürte doch seine Präsenz! Es wartete. Worauf?
Es musste ein Ende haben. Lieber noch einmal der Gefahr ins Auge sehen, als weiter zu warten, selbst wenn dieses Warten dauern könnte, bis er von ganz alleine hier verrecken würde. Seine Finger arbeiteten sich vor, seine Handflächen fanden Halt und langsam drückte er sich hoch, bis er auf Händen und Knien kauerte wie ein greises Tier. Sein Hals kroch zwischen seinen verhärteten Schultern hervor und sein Kopf wandte sich langsam um. Die tiefstehende Sonne hatte das violette Leuchten eines Amethysts und stach ihm genau in die Augen. Er kniff seine Lider zusammen, um sie langsam ein winziges Stück weit zu öffnen.
Vor ihm stand die kleine Gestalt einer alten Frau, im Gegenlicht nicht mehr als ein schattenhafter Umriss. Wortlos streckte sie ihm ihre runzlige Faust entgegen, als wolle sie ihm den K.O.-Schlag verpassen. Doch zwei Handbreit vor seinem Gesicht verharrte die Faust. Sie wurde gedreht und die Knochenfinger öffneten sich langsam mit dem zittrigen Quietschen eines uralten Sargdeckels.
Ein grellweißer Lichtstrahl bahnte sich den Weg in die Freiheit; andere folgten, bis die Handfläche geöffnet vor ihm lag und das darauf pulsierende Licht sich zu einer weißen Flamme vereinigte, die ihn im selben Augenblick verbrannte.

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